Jahreswechsel

Alle Jahre an Silvester
wird der Menschheit Glaube fester:
Das kommende Kalenderjahr
wird besser, als das alte war.
Mit Sekt und Bier, mit Schnaps und Wein
läutet man den Wechsel ein.
Und vergisst im Augenblick
all Kummer und das Missgeschick,
das im alten Jahr en masse
uns Nerven raubte und den Spaß.

Mit Feuerschweif und Mordskrawall
schießt man viel Geld in Richtung All.
Und die neue Vorsatz-Liste
holt man aus der Mottenkiste.
Zumeist wird sie am Neujahrsmorgen
auch gleich wieder dort verborgen.
Was bleibt, das ist der Neujahrs-Kater,
lehrt uns die Lebens-Alma-Mater.
Man merkt meist schon nach KW 1:
Das neue Jahr ist auch nicht meins.

Statt nur zu wünschen und zu hoffen,
sollen Herz und Augen offen,
das Denken und das Handeln gut,
in der Seele warme Glut
und im Geben Gönnen sein.
Dann wird’s dein Jahr von ganz allein.

Verlaufen, verstanden, vergangen

Ich habe angefangen.
Hab ich mich verfangen?
Denn frei fühle ich mich nicht.

Ich habe viel Verlangen.
Hab ich zu viel verlangt?
Denn zufrieden bin ich nicht.

Ich bin weit gegangen.
Bin ich zu weit gegangen?
Denn angekommen bin ich nicht.

Ich habe lang gewartet.
Hab ich zu viel erwartet?
Denn Erfüllung ist da nicht.

Ich bin viel gegangen.
Ist zu viel schiefgegangen?
Denn das Ziel, das seh ich nicht.

Ich habe viel gestanden.
Habe ich nichts verstanden?
Denn Erkenntnis ist da nicht.

Ich habe viel gefragt.
Bin ich überfragt?
Denn Antworten sind da nicht.

Ich bin viel gelaufen.
Hab ich mich verlaufen?
Denn den Weg – ich seh ihn nicht.

Zeit und Zeitgeist

Zeit zu gewinnen und zu sparen, darauf sind wir stets erpicht.
Die Zeit läuft stets im gleichen Takt, doch wir nehmen sie uns nicht.

Worte zählen heute nicht mehr, doch die Zahlen haben Wert.
Der Sinn des Wortes „Ehrenwort“ hat sich ins Gegenteil verkehrt.

Leere Menschenhüllen füllen sich rasant mit lauter Tand
und nur noch Unverbindlichkeiten verlassen ihre kalte Hand.

Wir füllen unsere Lebensleere aus mit virtuellem Sein.
Wir legen lauter Seelenbrände für den schönen äußeren Schein.

In diesen zeitgerafften Tagen verlernen wir, etwas zu geben.
Dafür können wir uns heut aus Feenstaub Beziehungsnetze weben.

Die Menschenerde trocknet aus, zerbricht, ohne zu beben.
Doch zwischen all den öden Feldern gibt es Oasen voller Leben.

Seelenseen liegen da – mal still, mal aufgewühlt,
warme Wasser voller Tiefe, Geheimnisse darin umspült.

Hinter alten, dicken Mauern und den dornenreichen Sträuchern
versuchen heiße Herzensfeuer, die Verzweiflung auszuräuchern.

Das Wichtigste ist zu verlernen, sich trotz der Nähe zu entfernen,
und es wieder zu genießen, die eigne Seele aufzuschließen.